Die menschliche Figur in einer „offenen Figuration", wie es der Maler
selbst nennt, steht im Zentrum des Schaffens des Bruchsaler Künstlers
Joachim Czichon. Sie dient ihm als Ausdrucksträger bildlicher Gestimmtheit
und ist Auslöser konsequent betriebener formaler Erkundungen und
malerischer Assoziationen. Der Künstler nähert sich seinem Sujet, ohne es
im rein Abbildhaften zu erfassen. Vielmehr manifestiert sich das Empfinden
des Malers in Gegenwart des Figürlichen im Gemälde.
Bildliche Figuration meint auch die Aura dieser personalen Anwesenheit im
Gemälde, die Transparenz der Figur, die deren Wesen aufdeckt und ihre
möglichen Interaktionen im Bild und mit dem Künstler selbst. Das Bild wird
so zum Zeugnis psychischer und gestalterischer Auseinandersetzung des
Malers mit den energetischen Zuständen des Lebendigen.
Dabei verbindet sich die figürliche Formulierung mit der Expressivität des
gestischen Malvorgangs. Der Figuration werden freie malerische Parteien zur
Seite gestellt, sodass ein dynamisches kompositorisches Gleichgewicht
entsteht. Der Künstler tastet sich zeichnerisch an sein Bildthema heran, um
dann in intuitiven Setzungen von Farbe, in ihrem Aufspritzen und Ritzen ein
lockeres
Gefüge im Bildraum zu erschaffen, das sich im Malprozess zu figurativen
Assoziationen verdichtet. Neben Schwarz und Weiß legt sich ein
transparentes Geflecht klarer Buntfarben über die vorbereitende Zeichnung
und implaniert so dem Weiß des Bildgrundes räumliche Qualitäten. Nie wird
die Vehemenz des gestalterischen Aktes zum bloßen eruptiven Zufall. Die
menschliche Figur scheint sich im Gestischen, Rhythmischen aufzulösen und
bleibt dennoch im gegenständlichen Bezug verankert.
Innere - gefühlte - und äußere Wirklichkeit oszillieren im Werk von Joachim
Czichon. Im Laufe seines künstlerischen Schaffens hat er ein
gestalterisches Vokabular entwickelt, das in seinen figürlichen Kürzeln
universell lesbar ist. Im Einzelnen ist dieses zeichenhafte Repertoire ohne
erzählerischen Überschwang formuliert; Erst in komplexen Kompositionen
entfaltet es narrative
Qualitäten und bindet doch das Dargestellte in den ungefähren Raum des
Möglichen, Nicht-Festgeschriebenen zurück. In jedem seiner Werke prägt sich
so die unverwechselbare Handschrift des Malers aus.
Körperhafte Formulierungen und zuweilen auch landschaftliche Anmutungen -
Gestirne über Horizonten - werden in knappen Chiffren im Bild und in dessen
Atmosphäre verortet. Das Bildgeschehen kristallisiert sich am bildlichen
Dialogpartner des Künstlers, der menschlichen Figur. Sie gehört allein dem
Künstler, ist so etwas wie seine Signaturfigur und findet aus innerer
Notwendigkeit heraus ins Bild. Dabei hat das Gegenständliche stets eine
locker gefügte, lebendige Bildpräsenz. Dieses Gefüge stellt das eigentliche
Kontinuum in den Arbeiten dar; Es bindet figurative Formulierungen und
gestisch freie Assoziationen in unterschiedlichen Techniken gleichermaßen
in ein stimmiges Gesamtleben des Werkes ein.
Der energetische Gehalt dessen, was sich im schöpferischen Akt auf der
Leinwand vollzieht, bleibt auch nach der Vollendung des
Werkes stets als Bildrhythmus präsent.
So spielt auch Musik im Entstehungsprozess der Arbeiten eine wesentliche
Rolle. Sie setzt kreative Energien frei, die sich nicht immer im Bild als
unmittelbare musikalische Bezugnahmen äußern müssen. In einer
großformatigen Komposition ist dies jedoch der Fall. Sie entstand während
der Musik-Mal-Aktion „Klangkörper - Körperklänge" in der Karlsruher
Hochschule für Gestaltung im Jahr 2004. In einer engen Wechselwirkung
zwischen musikalischen Improvisationen von Klavier und Schlagzeug und
Malerei vollzog Joachim Czichon parallel zur Musik oder in Kontroverse zu
ihr malerische Setzungen über mehrere Leinwände hinweg. Das Gemälde ist
Zeugnis des gemeinsam erarbeiteten, experimentellen Prozesses. Unmittelbare
körperlich-seelisch-geistigeÄußerungen des Malers zum Geschehen, Aktionen
und Reaktionen auf die Musik, manifestieren sich im eigenen gestalterischen
Repertoire bleibend auf der Leinwand. Die offene Komposition tritt partiell
zu Clustern zusammen, die sich zu Figürlichem formen; Eine Vorgehensweise,
die Parallelen in der zeitgenössischen Musik hat.
Diese Art der Bildkomposition ist ein Charakteristikum der Arbeiten von
Joachim Czichon.
Werden in den großformatigen Werken figürliche Gestaltungen häufig in
Ganzkörperansichten mit ikonischer Präsenz erfasst, die untereinander in
fast spielerisch anmutender Kommunikation stehen, so konzentrieren sich die
kleinformatigen Arbeiten auf die Darstellung des menschlichen Kopfes als
Sitz menschlicher Wesenhaftigkeit. Diese „kleine Form" zeichnet sich durch
eine besonders knappe Formulierung der gestalterischen Module dar, in denen
sich Eindrücke zu eindringlichen Aperçus verdichten. „Atelierreliquien"
werden sie vom Künstler betitelt, denn häufig finden Reste herumliegenden
Papiers, Wellpappe und Draht Eingang in die Arbeiten und werden zum
Auslöser der Bildkomposition. Fundstücke aus dem Atelier bringen eigenen
Ausdruck, den Reiz des Gewordenen, treffend in die Bildaussage ein. Die
Umgebung des geschützten Raumes, der das Atelier ist, wird dem Bild
einverleibt.
Dies steht in größtmöglichem Gegensatz zu dem Schritt an die
Öffentlichkeit, den Joachim Czichon in jeder Ausstellung immer wieder aufs
Neue vollzieht. Der schöpferische Akt ereignet sich in der Regel in der
ruhigen und intimen Atmosphäre des Ateliers. Seit über 25 Jahren übt der
Künstler fern jeglicher institutionellen Verankerung die Malerei als freie
Tätigkeit aus - mit großem, dauerhaftem Erfolg. Seine Arbeiten sind
national und international in bedeutenden öffentlichen und privaten
Sammlungen vertreten und die Kontinuierlichkeit, mit der sein Werk
gesammelt wird, spricht für dessen substanzielle Qualität.
Die Arbeiten von Joachim Czichon haben eine einzigartige Wirkmacht;
Jenseits aller Erklärungsmodelle und Entstehungsgeschichten teilt sich in
ihnen in ungeheurem gestalterischen und inneren Reichtum eine genuin
malerische Schöpfung mit, der keine adäquate Formulierung auf andere Ebene
zur Seite gestellt werden kann. Lassen wir uns anmuten. |